Antidepressiva in der Schmerztherapie – Antidepressiva als Schmerzmittel
„Warum soll ich Antidepressiva einnehmen? Ich habe doch Schmerzen und bin nicht depressiv“ – so oder ähnlich haben Sie vielleicht gedacht, als Sie vom Arzt bzw. der Ärztin hörten, dass Ihnen ein Antidepressivum verordnet werden soll.
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Antidepressiva – Schmerzübertragung – Schmerzempfindung
Die schmerzstillende Wirkung von Antidepressiva wurde schon früh entdeckt. Bereits in den 60-iger Jahren sind erste Publikationen erschienen, in denen vom erfolgreichen Einsatz der Antidepressiva bei chronischen Schmerzen berichtet wurde.
Schmerzreize werden an der Haut, den Gelenken, den Nerven oder inneren Organen ausgelöst und von dort über Nerven zum Rückenmark geleitet. Dort werden sie auf Bahnen des Rückenmarkes umgeschaltet, die zum Gehirn laufen, wo wir dann die Empfindung „Schmerz“ wahrnehmen. Bei chronischen Schmerzen treten starke Veränderungen des Nervensystems auf.
Komplexe chemische Vorgänge verändern die Schmerzempfindlichkeit der Nervenfasern und der Verarbeitungs- und Wahrnehmungszentren. Auf der Ebene der Reizweiterverarbeitung im Bereich des Rückenmarks kommt es zur Veränderung der beteiligten Nervenzellen - die Schmerzreize werden verstärkt und nicht mehr „normal“ ins Gehirn weitergeleitet. In den Körpergeweben selbst kommt es zu einer „Sensibilisierung“ der Schmerzmessfühler, das heißt, es besteht eine erhöhte Ansprechbarkeit auf Schmerzreize oder sogar der spontanen Aussendung von Schmerzimpulsen ohne Einwirkung von Reizen.
Im Gehirn können die Informationen bei chronisch Schmerzerkrankten wieder auf stark sensibilisierte Zentren treffen, die dann eine veränderte Verarbeitung, Bewertung und Wahrnehmung der Schmerzreize durchführen. Chronischer Schmerz ist häufig auch das Unvermögen des körpereigenen Schmerzhemmsystems, die Schmerzreize adäquat zu dämpfen. Die schmerzstillende Wirkung der Antidepressiva entsteht durch eine Veränderung bei der Übertragung der Schmerzreize auf der Ebene des Rückenmarks. So wird die Übertragung entweder durch eine Blockade der Botenstoffe oder durch die Hemmung ihres Abbaus gestört. Die Weiterleitung der „Schmerz-Nachrichten“ wird behindert.
Im Normalfall verfügt der gesunde Körper über ein effektives Schmerzhemmsystem. Dieses Hemmsystem wirkt den Schmerzreizen mit Endorphinen und anderen Botenstoffen entgegen. Die Steuerung dieses Hemmvorganges wird durch Botenstoffe in den Schaltstellen der Zellen und in Zentren im Gehirn und Rückenmark ermöglicht. Bei chronischen Schmerzen gibt es einen Mangel an schmerzhemmenden Botenstoffen an den Nervenendigungen des schmerzleitenden Nervensystems sowie in der Rückenmarksebene und in den Hirnzentren. Diese Störung der Produktion von Überträgerstoffen ähnelt der bei der Depression und Angsterkrankung. Auch hier findet man einen Mangel der Überträgerstoffe Serotonin und Noradrenalin und damit eine veränderte nachgeschaltete Signalkette.
Antidepressiva können dazu beitragen, den Mangel an Überträgerstoffen auszugleichen und zu gewährleisten, dass ausreichend Überträgerstoffe mit schmerzhemmender Wirkung an den Nervenschaltstellen vorhanden sind. Sie bremsen an den Schaltstellen des Nervensystems die Weiterleitung der Schmerzreize. Sie wirken nicht nur positiv auf die Stimmungslage, sondern auch noch unabhängig davon auf das schmerzleitende System ein.
Antidepressiva bieten viele Möglichkeiten
Chronischer Schmerz kann depressiv und ängstlich machen. Es kommt daher häufig vor, dass Betroffene mit chronischen Schmerzen eine stark gedrückte Stimmung und Hoffnungslosigkeit und ein ängstliches Vermeidungsverhalten aufweisen. Umgekehrt können Depressionen und Angsterkrankungen jedoch auch Schmerzen verursachen oder verstärken. In beiden Fällen können Antidepressiva erfolgreich eingesetzt werden.
In der Praxis finden wir bei etwa zwei Drittel unserer Schmerzpatienten und –patientinnen deutlich depressive und ängstliche Züge. Die für eine Schmerzerkrankung typischen Zusatzsymptome wie gedrückte Stimmung, Hoffnungslosigkeit Antriebslosigkeit, Schlafstörung, Unruhe, Ängstlichkeit, Angespanntheit und soziale Isolation werden durch Antidepressiva positiv beeinflusst.
Antidepressiva zeigen in der Praxis somit sowohl eine schmerzlindernde, als auch stimmungsverbessernde, entspannende und schlaffördernde Wirkung. Als Zusatzmedikation für die Schmerztherapie eignen sich dabei besonders die so genannten trizyklischen Antidepressiva.
Antidepressiva schlagen zwei bis mehrere Fliegen mit einer Klappe
Für die Behandlung von chronischen Schmerzen wird heute von Schmerztherapeuten die frühzeitige Kombination der eigentlichen Schmerzmedikamente mit Antidepressiva empfohlen. Um bei der medikamentösen Schmerzbehandlung einen Effekt zu erreichen sind wesentlich geringere Dosierungen der Antidepressiva erforderlich, es reicht in der Regel ein Fünftel, häufig sogar ein Zehntel der sonst üblichen Medikamentendosis.
Besonders günstig haben sich die trizyklischen Antidepressiva als Zusatzmedikation bei Kopf- und Gesichtsschmerzen, bei Bauchschmerzen, bei Nervenschmerzen, Tumorschmerzen und bei Rückenschmerzen erwiesen. Der schmerzlindernde Effekt tritt jedoch erst deutlich nach der Einnahmezeit von 4 Wochen auf. Besonders bewährt haben sich in der Schmerztherapie die Substanzen Amitriptylin, Doxepin, Clomipramin und Imipramin. Auch das moderne Antidepressivum „Duloxetin“ hat gute schmerzreduzierende Eigenschaften.
Die typischen Nebenwirkungen dieser Medikamentenklasse sind durch die in der Schmerzbehandlung niedrige Medikamentendosis nur in abgeminderter Form zu beobachten und in der Regel auch nach 2 bis 3 Wochen deutlich weniger wahrzunehmen. Zu den häufigsten anfänglich beobachteten Nebenwirkungen gehören Mundtrockenheit, Müdigkeit, Blasenentleerungsstörung, Sehstörungen und Gewichtszunahme. Seltenere Nebenwirkungen sind die Stuhlverstopfung, Blutdruckschwankungen und Herzfrequenzschwankungen, Schwitzen und Unruhezustände.
Mit großen Fingerspitzengefühl und Ausdauer muss der Arzt bzw. die Ärztin zusammen mit den Betroffenen die geeignete Dosierung für die Antidepressiva und für die Schmerzmedikamente ermitteln.