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Wie lernt man Seelsorge?
Im ersten Kurs für Klinische Seelsorgeausbildung (KSA) wurde den Kursteilnehmenden Seelsorge praxisbezogen und fallorientiert vermittelt.
Das Freizeithaus des EC-Bildungs- und Begegnungszentrums in Woltersdorf bei Berlin liegt idyllisch am Ufer des Kalksees. Schwäne ziehen auf dem Wasser ihre Kreise, manchmal fährt ein Binnenschiff vorbei. Im November 2020 sowie im Juni und September 2021 kamen acht Frauen und Männer für jeweils zwei Wochen hierher - aber nicht, um Urlaub zu machen, sondern um Seelsorge zu lernen. Sie nahmen teil am ersten Kurs für Klinische Seelsorgeausbildung (KSA), der von der Immanuel Albertinen Diakonie in Kooperation mit der Evangelisch-Freikirchlichen Akademie Elstal veranstaltet wurde. Die meisten Kursteilnehmenden waren Pastorinnen und Pastoren in Baptisten-Gemeinden in Deutschland und Österreich. Auch ein lutherischer und ein katholischer ehrenamtliche Seelsorger waren dabei. Gemeinsam absolvierten sie eine „pastoralpsychologische Weiterbildung in Seelsorge“, so die offizielle Bezeichnung. Angeleitet wurden sie von Pastorin Vera Kolbe, Seelsorgerin in der Immanuel Klinik Rüdersdorf und im Diakonie Hospiz Woltersdorf, und Pastor Thorsten Graff, Leiter des Konzernbereichs Seelsorge-Theologie-Ethik in Hamburg. Beide sind Supervisoren und anerkannte KSA-Kursleitende (DGfP).
Wichtigstes Werkzeug ist man selbst
Die Klinische Seelsorgeausbildung ist ein bewährtes Lernmodell für die Seelsorgeausbildung in vielen Kirchen und Freikirchen. Ziel der Fortbildung ist es, die Teilnehmenden in ihrem persönlichen, geistlichen und fachlichen Wachstum zu unterstützen und eine seelsorgerliche Grundhaltung zu entwickeln. Denn das wichtigste Werkzeug in der seelsorgerlichen Begegnung ist und bleibt die Seelsorgerin bzw. der Seelsorger selbst. Im Zentrum der Seelsorgeausbildung steht darum der einzelne Mensch mit seiner Persönlichkeit, seiner Geschichte und seinen Stärken und Grenzen in der Kommunikation und Beziehungsgestaltung. Im Rahmen der KSA wird Seelsorge darum in Gruppen gelernt. Denn als Person wachsen, kann der Einzelne nur in der Begegnung mit anderen. In dem durch einen klaren Kontrakt und klare Regeln geschützten Raum der Gruppe können die Teilnehmenden ihre Selbstwahrnehmung mit der Fremdwahrnehmung der anderen abgleichen, an der eigenen Kommunikations- und Konfliktfähigkeit arbeiten und wie in einem Labor in der direkten Begegnung mit anderen „Neues“ ausprobieren.
Lernen durch Erfahrung
Im KSA-Kurs geht es nämlich immer um das Lernen durch praktische Erfahrung (Learning by Doing). Auf diese besondere Methode des Lernens verweist im Übrigen der Begriff „klinisch“. Er bedeutet nichts anderes, als dass Seelsorge in der KSA praxisbezogen oder fallorientiert gelernt wird. Wesentlicher Bestandteil der Kurse ist deshalb die seelsorgerliche Praxis. Dafür gingen die acht Teilnehmenden regelmäßig in nahegelegene Einrichtungen der Immanuel Albertinen Diakonie: in die Immanuel Klinik Rüdersdorf, das Diakonie Hospiz Woltersdorf und die Pflegeeinrichtungen Immanuel Haus am Kalksee und Immanuel Seniorenzentrum Kläre Weist.
In KSA-Kursen halten die Seelsorgenden ihre Erfahrungen aus der Praxis in „Verbatims“ fest. Diese Gesprächsprotokolle werden anschließend gemeinsam analysiert. Auch Predigten werden gehalten und besprochen. Dabei wird die Predigt vor allem als Kommunikationsgeschehen betrachtet: In der „Selbsterfahrung in der Gruppe“ erleben sich die Teilnehmenden im direkten Kontakt miteinander und reflektieren, wie sie kommunizieren und Beziehung gestalten. Thematische Einheiten stellen die Verbindung zwischen eigenen praktischen Erfahrungen und den Erkenntnissen aus Theologie und Humanwissenschaften, insbesondere der Psychologie her. In der begleitenden Einzelsupervision können die Teilnehmenden ihren Lernprozess reflektieren und einzelne Themen vertiefen. Außerdem gehören kreative Einheiten, Körperarbeit, Rollenspiele und Übungen, Literaturstudium sowie die persönliche Reflexion in regelmäßigen Kursberichten zum KSA-Repertoire.
Glauben reflektieren und integrieren
Weil das Profil der seelsorglichen Begleitung anderer eng mit der eigenen Geschichte verwoben ist, wird außerdem die persönliche Glaubens- und Lebensgeschichte in den Blick genommen. Auf diese Weise wird die hermeneutische, also die auslegende Kompetenz der Teilnehmer geschult. Anton Boisen, der Erfinder der Methode der Klinischen Seelsorgeausbildung, sprach nämlich von Menschen als „living human documents“ (lebendige menschliche Dokumente). Sie gilt es, wie einen (Bibel-)Text, in ihrer Eigenart wahrzunehmen und zu verstehen. Das setzt voraus, dass in der Seelsorge tätige Menschen ihren eigenen Glauben kritisch reflektiert in ihre professionelle Identität integriert haben.
"Eine intensive Lernerfahrung"
Nach den ersten zwei von insgesamt sechs Kurswochen schrieb ein Teilnehmer über seine Erfahrungen: „Ich war nach dem ersten Kursblock beeindruckt, wie viel ich über mich als Person und als Seelsorger durch die verschiedenen Arbeitsformen gelernt habe. Es war wirklich eine intensive Lernerfahrung, die ich so bisher kaum anderswo erlebt habe. Besonders die praktischen Einheiten, wie die Besprechung von Gesprächsprotokollen und die Erfahrungen im Praxisfeld sowie die Einzelsupervision und die Rückmeldungen, wie mich die Gruppe erlebt und wahrnimmt, waren sehr bereichernd für mich. Insgesamt habe ich mich in meinen individuellen Stärken und Begabungen bestärkt gefühlt und mehr Sicherheit für meine Seelsorgetätigkeit in der Gemeinde gewonnen."
Die Immanuel Albertinen Diakonie engagiert sich seit 2018 in der Seelsorgeaus- und -fortbildung. Grundidee dabei ist, dass Seelsorge für Patientinnen und Patienten, Bewohnende und Gäste in Einrichtungen der Immanuel Albertinen Diakonie auch durch die Aus- und Fortbildung in Seelsorge zur Verfügung gestellt wird. Veranstaltet werden die Fortbildungsangebote in Seelsorge zukünftig durch die Albertinen Akademie in Kooperation mit verschiedenen kirchlichen und freikirchlichen Partnern. Die nächste pastoralpsychologische Weiterbildung in Seelsorge in Rüdersdorf/Woltersdorf findet 2022 statt und hat den Schwerpunkt „Seelsorge am Lebensende“.